Unendlich cremig – Tropfen lassen sich grenzenlos aufspalten
Wo Experimente an ihre Grenzen stoßen, können Computersimulationen tiefer blicken lassen. Wissenschaftler vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen haben einen Computercode entwickelt, der exakte Vorhersagen über den Zerfall von Tropfen in turbulenten Strömungen ermöglicht. Überraschenderweise zeigt er, dass es keinen Zeitpunkt gibt, an dem Flüssigkeitstropfen nicht weiter in noch kleinere Tropfen zerfallen können. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Science Advances veröffentlicht, und der Open-Source-Computercode steht nun auch anderen Wissenschaftler:innen zur Verfügung.
Der Zerfall von Tropfen und Blasen durch chaotische Verwirbelungen in Turbulenzen ist im Alltag an der Tagesordnung: ob beim Duschen oder wenn man eine Sprühflasche benutzt, um eine Flüssigkeit in der Luft zu verteilen, oder im Ozean, wenn beim Brechen von Wellen Gasblasen entstehen. Auch bei der Herstellung von Kosmetika, Medikamenten und Lebensmitteln spielt das Aufbrechen von Tropfen eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es darum geht, Flüssigkeiten zu vermischen, die sich von Natur aus nicht vermischen wollen, wie etwa Öl und Eigelb in Mayonnaise. Aber wie lange muss man rühren, um eine gute Mayonnaise zuzubereiten?
Um diese Frage zu beantworten, ist ein tieferes Verständnis des Aufbrechens selbst erforderlich: Zu welchem Zeitpunkt zerfällt ein Tropfen oder eine Blase tatsächlich in kleinere Teile? Erreicht der Zerfall schließlich einen Endzustand, in dem die Tropfen so klein sind, dass sie sich nicht mehr weiter aufspalten? Bislang wurden diese Fragen vor allem experimentell untersucht, aber die Verfolgung von Tropfen in einer turbulenten Umgebung ist äußerst schwierig. Außerdem ist eine große Menge an Messdaten erforderlich, um statistisch zuverlässige Aussagen über den Aufspaltungsprozess zu treffen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei den Experimenten viele Parameter berücksichtigt werden müssen, wie die Art der gewählten Flüssigkeit und ihre Eigenschaften (z. B. Dichte und Oberflächenspannung) oder die Tropfengröße und der Turbulenzgrad der Strömung. Infolgedessen liegen nur wenige Daten über das Aufbrechen von Tropfen und Blasen in turbulenten Strömungen vor, was detailliertere Erkenntnisse des Phänomens behindert und Vorhersagen erschwert.
Tropfen verhalten sich anders als bisher angenommen
Ein neuer Computercode, entwickelt von Dr. Alberto Vela-Martín vom ZARM, ist nun in der Lage, Tausende von Versuchsszenarien für das Aufbrechen von Tropfen zu simulieren. Als wichtigste Erkenntnisse konnten anhand der neuen Simulationen gezeigt werden, dass der Teilungsprozess der Tropfen keinen Endzustand erreicht und – anders als bisher gedacht – bei langen Zeitskalen zwar immer langsamer aber eben doch kontinuierlich fortläuft. Die früher postulierte Mindestgröße eines stabilen, nicht weiter zerfallenden Tropfens (wobei die Tropfengröße dann jeweils von den Eigenschaften der Flüssigkeit und dem Turbulenzgrad der Strömung abhängt) scheint es demnach nicht zu geben. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Turbulenz den Tropfen oder die Blase zerreißen wird, zu jedem Zeitpunkt gleich groß ist. Der einzelne Tropfen „weiß“ also nicht, wie lange er der turbulenten Strömung schon ausgesetzt ist, er ist sozusagen „gedächtnislos“. Was bedeuten die neuen Ergebnisse übertragen auf das Beispiel der Mayonnaise? Je länger man die Mayonnaise rührt, desto cremiger wird sie – man braucht nur sehr viel Geduld.
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Link zur wissenschaftlichen Veröffentlichung (Science Advances): www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abp9561
Inhaltliche Fragen:
Der entwickelte Code wird der wissenschaftlichen Gemeinschaft in vollem Umfang zur Verfügung gestellt. Bei Interesse kontaktieren Sie bitte:
Dr. Alberto Vela-Martín
alberto.vela.martin@zarm.uni-bremen.de
Medienanfragen:
Birgit Kinkeldey
birgit.kinkeldey(at)zarm.uni-bremen.de
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