Wenn die Ballongondel zum Kleinsatelliten wird
Am 8. Oktober 2014 startete um 19.56 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) der Forschungsballon BEXUS 19 vom schwedischen Raumfahrtzentrum Esrange zu seinem Nachtflug. Wenige Tage später soll ein weiterer BEXUS-Ballon folgen. An Bord der beiden Ballongondeln schicken Studententeams aus Deutschland, Schweden, Italien und Spanien neun spannende Experimente in Richtung Stratosphäre, von denen diesmal fünf aus deutschen Ideenschmieden stammen. Die Experimente der gemeinsamen Missionen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Schwedischen Raumfahrtbehörde SNSB können im Wesentlichen zwei Schwerpunkten zugeordnet werden: Zum einen wird der Ballon wie ein Satellit zur Datenübertragung und als Testumgebung für Technologien eingesetzt, die sich später auf Kleinsatelliten bewähren sollen, zum anderen tragen die BEXUS-Ballons Messgeräte, um mehr über die Atmosphäre und das Weltraumwetter herauszufinden.
BEXUS 19: Atmosphärenforschung vom Feinsten
An Bord von BEXUS 19 befinden sich zwei deutsche Experimente: ADAM und TamaOS. Bei dem Experiment ADAM wollen die Studierenden der Christian Albrechts Universität Kiel mehr über die Wirkung kosmischer Strahlung herausfinden. Wenn die hochenergetischen Strahlen auf die Sauerstoff und Stickstoffatome der Atmosphäre treffen, werden sie abgebremst und erzeugen Schauer von geladenen und neutralen Teilchen. Bei einer Höhe von 20 Kilometern tritt der höchste Teilchenfluss auf, das sogenannte Pfotzer-Maximum. Ungeklärt ist bislang allerdings, in welcher Richtung sich die Partikel durch die Atmosphäre bewegen. Die Kieler Forscher messen oberhalb des Maximums. Sie haben ihre Detektoren so angeordnet, dass auftreffende geladene Teilchen zwei hintereinander angeordnete Sensoren durchlaufen müssen. Daraus kann ihre Flugbahn bestimmt und die Winkelverteilung berechnet werden.
Das Experiment TamaOS der TU Dresden misst den Gehalt des atomaren und des molekularen Sauerstoffs sowie den Ozongehalt in der Atmosphäre vor allem während des Aufstiegs, das heißt in Abhängigkeit von der Flughöhe. Dabei verwenden sie neue, an der TU Dresden entwickelte Sensoren. Auch Temperatur und Luftdruck werden von der selbstgebauten Experimentanlage registriert. Mit dem BEXUS-Flug wollen die Studierenden demonstrieren, dass diese Messtechnik geeignet ist, genaue Informationen über die Sauerstoff- und Ozonverteilung in der Atmosphäre zu erhalten. Insbesondere der Einsatz der kleinen Ozonsensoren auf Wetterballons könnte für die Wetterdienste interessant sein.
Zwei weitere, spanische Experimente, sind in der Gondel von BEXUS 19 untergebracht: Das Experiment TORMES 2.0 der Universität Barcelona empfängt die von der Erdoberfläche reflektierten und gestreuten Signale der Globalen Navigationssatelliten-Systeme wie zum Beispiel GPS. Aus ihren Laufzeiten und Signalformen soll die Topographie und Struktur der Erdoberfläche bestimmt werden. GranaSAT testet ein System mit Kamera, Beschleunigungssensoren und Magnetometer, mit dessen Hilfe die Orientierung des geplanten gleichnamigen Cubesats im Weltraum bestimmt werden soll.
BEXUS 18: Technologieentwicklungen für Erde und Mars
ARCA heißt das Projekt der Studierenden von der Ernst-Abbe Hochschule in Jena, ein "Kommunikationsexperiment" auf BEXUS 18. Sie empfangen und entschlüsseln während des Ballonflugs die Daten von ADS-B, einem automatischen bordabhängigen Überwachungssystem, die von modernen Flugzeugen einmal pro Sekunde abgestrahlt werden und Informationen über Flugnummer, Position, Flugzeugtyp, Geschwindigkeit und geplante Flugrichtung enthalten. Für Empfangsstationen am Boden beträgt die Reichweite ungefähr 370 Kilometer.
Eine Empfangsstation auf einem Ballon in der Stratosphäre oder gar auf einem Satelliten im Weltraum erweitert den von einem System beobachtbaren Bereich erheblich - ein möglicherweise interessantes und realisierbares Konzept für Gebiete, die nicht von der üblichen Flugüberwachung erfasst werden. Für die Flughöhe des Ballons erwarten die Studierenden einen Radius von mehr als 500 Kilometern. Die Besonderheit von ARCA besteht darin, dass das Studententeam sogar den Empfänger selbst entwickelt und gebaut hat, der nun unter realen Bedingungen eingesetzt wird. Die von den Flugzeugen empfangenen Signale werden über den Standard-Downlink von der Gondel direkt zum Laptop des Teams gesendet, wo der Flugweg direkt graphisch verfolgt werden kann.
Auf dem Mars ist es sehr gebirgig. Das Valles Marineris ist mit einer Tiefe von 13 Kilometern das tiefste Tal in unserem Sonnensystem. Erkundet ein Rover dieses Tal und will Kontakt mit einer Bodenstation auf der Oberfläche des Roten Planeten aufnehmen, dann ist der direkte Weg durch Felsen versperrt. Könnte in dieser Situation ein Ballon als "Relaisstation" die Daten über das Hindernis hinweg vom Rover zur Bodenstation und umgekehrt übermitteln und so die Kommunikation aufrechterhalten? Dieser Frage geht das internationale COUGAR-Experimentteam nach. Die Studierenden des Spacemasters Programms der Universität Würzburg und der Lulea Technical University, Kiruna, wollen von der Bodenstation aus via Ballon einen selbstgebauten Rover steuern und einen kleinen Roboterarm bewegen. Bei bemannten Flügen könnte so auch der Einsatz von Astronauten in einer lebensfeindlichen Umgebung reduziert werden.
Fit für ihren Weltraumeinsatz möchte das Studententeam der TU München neueste Sensortechnologie und Elektronik für Echtzeitmessungen im Experiment AFIS-P machen. Das "P" im Experimentnamen weist BEXUS als vorbereitende sogenannte Precursor-Mission für den geplanten Einsatz von AFIS im Weltraum hin, für den das Experiment in einem würfelförmigen Cubesat-Kleinstsatelliten mit Kantenlängen von jeweils zehn Zentimetern untergebracht werden muss. Daher soll die Technologie bereits auf BEXUS alle geometrischen Anforderungen und notwendigen Raumfahrtstandards erfüllen. AFIS soll den Durchfluss von Antiprotonen im Erdmagnetfeld messen. Das ist die in der kosmischen Strahlung enthaltene, negativ geladene Antimaterie zu den in jedem Atomkern vorhandenen positiv geladenen Protonen. Sie kommt auf der Erde nicht natürlich vor. Wie Wechselwirkungen und Transportmechanismen kosmischer Strahlung entstehen und funktionieren, sind fundamentale Fragen der Astrophysik.
Zwei weitere Experimente von Studierenden italienischer Universitäten sind in der Gondel von BEXUS 18 untergebracht: A5-UNIBO aus Bologna misst die Dichte und Größenverteilung von den Aerosolen in der Atmosphäre, die für die Wolkenbildung verantwortlich sind. Das Technologieexperiment POLARIS aus Padua kontrolliert die Temperatur eines Dummy-Experiments mit Hilfe einer Wärmetauscherplatte, die von neuartigen elektroaktiven Polymer-Elementen je nach Notwendigkeit an die Experimentoberfläche zum Kühlen angepresst oder wieder entfernt wird.
BEXUS: ein Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs
Das deutsch-schwedische Programm BEXUS (Ballon-Experimente für Universitäts-Studenten) ermöglicht Studenten, eigene praktische Erfahrungen bei der Vorbereitung und Durchführung von Raumfahrtprojekten zu gewinnen. Die diesjährige Ausschreibungen des DLR Raumfahrtmanagements in Bonn sowie der Europäischen Weltraumorganisation ESA und des Swedish National Space Board SNSB für BEXUS 20/21 im Herbst 2015 und das Raketenprojekt REXUS 19/20 laufen bereits.
Neue Experimentvorschläge können bis zum 13. Oktober 2014 eingereicht werden. Jeweils die Hälfte der Ballon-Nutzlasten steht für Experimente von Studenten deutscher Universitäten und Hochschulen zur Verfügung. Die schwedische Raumfahrtagentur SNSB hat ihren Anteil auch für Studierende der übrigen ESA-Mitgliedsstaaten geöffnet. Die deutschen Studententeams erhalten technische und logistische Unterstützung vom Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnik und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen. Die Flüge werden von EuroLaunch, einem Joint Venture der Mobilen Raketenbasis des DLR (MoRaBa) und dem Esrange Space Center des schwedischen Raumfahrtunternehmens SSC, durchgeführt.
Quelle: DLR – Raumfahrtagentur Pressemitteilung vom 09 Oktober 2014