Ultracold atoms in weightlessness
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Das Forschungsgebiet der Quantentechnologie, das sich mit den kleinsten Bausteinen der Welt beschäftigt, wächst rasant – nicht zuletzt, weil ultrakalte Atome eine Vielzahl von praktischen Anwendungen haben. Sie können beispielsweise zur hochgenauen Messung von Magnetfeldern, dem Umgebungsdruck oder Beschleunigungen verwendet werden. Jens Grosse forscht am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) an der Universität Bremen und ist Projektleiter für eine Experimentserie mit ultra-kalten Atomen, die auf einer Höhenforschungsrakete für etwa fünfeinhalb Minuten der Schwerelosigkeit ausgesetzt wird. Nach jahrelanger Vorbereitung wurde die MAIUS-2-Mission am 2. Dezember 2023 um 08:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit von der „European Space and Sounding Rocket Range“ in Schweden gestartet.
„Es wird zwar noch etwas dauern, aber die Quantentechnologie wird in Zukunft ein ganz selbstverständlicher Teil unseres Alltags sein, weil wir z.B. – basierend auf ultrakalten Atomen – ein neues, hochgenaues und driftfreies Navigationssystem entwickeln könnten. Dies würde Navigation auf der Erde und im Weltall völlig unabhängig von der Verfügbarkeit von GPS ermöglichen,“ so Grosse. Der ZARM-Wissenschaftler ist mit seinem Team verantwortlich für die hochkomplexe Nutzlast: Sie ist 2,85 Meter lang und wiegt rund 335 Kilogramm. Sie wird von einer zweistufigen Rakete auf eine ballistische Flugbahn mit einer maximalen Höhe von 230 Kilometern transportiert. Während der Schwerelosigkeitsphase von 330 Sekunden werden circa 75 Experimente weitestgehend autonom durchgeführt.
Die Experimente
Während der fünfeinhalb minütigen Schwerelosigkeitsphase der MAIUS-2-Mission konnten rund 75 Experimente weitestgehend autonom an Bord der Rakete durchgeführt werden. Geplant hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstmalig zwei Gemische aus Bose-Einstein-Kondensaten (BEK) gleichzeitig während eines Höhenraketenflugs zu erzeugen und deren Verhalten in Mikrogravitation zu untersuchen. Bose-Einstein-Kondensate entstehen, wenn ein Gas bis fast auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wird und die einzelnen Atome dann in einer Materiewelle „im Einklang schwingen“. Das Verhalten der ultrakalten atomaren Gemische ändert sich dabei je nach Umgebungsbedingungen: Unter Schwerelosigkeit mischen sich die verschiedenen Atomsorten aufgrund des fehlenden Auftriebs anders als auf dem Erdboden. Ein wesentlicher Grund, warum die Experimente nun auf einer Forschungsrakete durchgeführt wurden.
Bose-Einstein Kondensate können unter anderem für interferometrische Messungen verwendet werden. Analog zum Lichtinterferometer werden hier Materiewellen genutzt um Beschleunigungen und Kräfte hochgenau zu messen. Die Forschenden versprechen sich von dem Einsatz der Technologie im Weltraum ein tieferes Verständnis von grundlegenden physikalischen Annahmen. So soll beispielsweise der Teil der Einstein’schen Relativitätstheorie überprüft werden, der besagt, dass im Vakuum alle Massen gleich schnell fallen – das so genannte Äquivalenzprinzip. Würde diese Annahme widerlegt werden, wäre die Relativitätstheorie nicht mehr uneingeschränkt gültig. Aber auch für eine genauere und hochaufgelöste Messung des Erdschwerefelds oder für die Navigation von zukünftigen Raumsonden stellen weltraumgestützte Atominterferometer einen der vielversprechendsten Ansätze dar.
Die Herausforderungen
Will man ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugen, muss die Bewegung der Atome auf ein Minimum reduziert werden. Dafür müssen die „Rubidium- und Kaliumatomwolken“ auf nahezu -273 Grad Celsius abgekühlt werden. In einem zweistufigen Verfahren werden die Atome zunächst mit Hilfe winzigen Lasern abgebremst – denn je schneller sich ein Atom bewegt, desto höher ist seine Temperatur. Der Laserimpuls bremst die Atome ab und entzieht ihnen dabei Energie. Die Teilchen werden anschließend in eine „Atomfalle“ überführt, aus der sie nicht entweichen können. Hierzu werden auf einem Atomchip Magnetfelder erzeugt. Den magnetischen Einschluss kann man sich als die „Wände“ der Falle vorstellen. Dieses Prinzip der Laserkühlung kann die Atome allerdings nie vollständig abbremsen: Dem absoluten Nullpunkt kommt man allein dadurch nicht nahe genug.
Nach der Laserkühlung beginnt daher in der Magnetfalle die zweite Phase des Temperatursturzes. Dabei werden die schnellsten Atome mit Hilfe von Mikrowellen selektiv entfernt, sodass im Mittel eine kältere Wolke zurückbleibt. Diese Methode ist mit dem gezielten Abkühlen von Kaffee in einer Tasse vergleichbar: Lässt man das Heißgetränk stehen, kühlt es verhältnismäßig langsam ab. Entfernt man aber durch Pusten gezielt den aufsteigenden Dampf – also die verbliebenen hochenergetischsten Gasatome – so kühlt das Heißgetränk wesentlich schneller ab. Durch diese sogenannte evaporative Kühlung können Temperaturen erreicht werden, die nur noch einen Hauch vom absoluten Nullpunkt entfernt sind – ideale Bedingungen zur Beobachtung eines Bose-Einstein-Kondensats. Die so erzeugten ultrakalten Atome können dann zur Untersuchung ihres Grundzustandes und ihrer Wechselwirkungen genutzt werden und bieten darüber hinaus ideale Bedingungen zur Materiewelleninterferometrie.
2017 gelang im Rahmen des Projekts MAIUS-1 (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) erstmals die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats im All. MAIUS-1 wurde bereits als eines der komplexesten Experimente, welches je auf einer Höhenforschungsrakete geflogen ist, betitelt. In MAIUS-1 wurden Bose-Einstein-Kondensate mit Rubidium Atomen erzeugt und erstmals Atominterferometrie im Weltraum durchgeführt.
Auf MAIUS-2 sollten nun neben ultrakalten Rubidium-Atomen erstmalig auch ultrakalte Kalium-Atome auf einer Forschungsrakete eingesetzt werden. Doch die Verwendung zweier verschiedener Atomsorten stellte das Team vor eine große technologische Herausforderung: Für die Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten zweier verschiedener Atomsorten wird die doppelte Anzahl von Lasern und somit mehr Elektronik benötigt. Trotz der komplexeren Nutzlast von MAIUS-2 mussten die Masse und das Volumen des Aufbaus aber annähernd konstant gehalten werden: zum einen, um die zulässige Masse des Bergungssystems nicht zu überschreiten und zum anderen um die Experimentierzeit nicht zu verkürzen, da diese von der Masse der Rakete abhängt.
Während die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats mit Rubidium Atomen den Forschern und Forscherinnen auf MAIUS-2 gelang, konnten das Bose-Einstein-Kondensat aus Kalium nicht wie geplant hergestellt werden. Nichtsdestotrotz liefert der MAIUS-2-Flug viele wertvolle neue Erkenntnisse, die in den nächsten Monaten ausgewertet werden und dazu beitragen können, das Design zukünftiger Missionen zu verbessern.
Deutscher Forschungsverbund realisiert die Mission
Das Projekt MAIUS-2 wird von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) koordiniert. Das MAIUS-2-Konsortium wird von der Universität Bremen geführt. Die wissenschaftliche Leitung hat die Universität Hannover im Verbund mit der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Ferdinand-Braun-Institut in Berlin, dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen, der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Universität Ulm und der Technischen Universität Darmstadt. Dem Forschungsverbund gehören außerdem das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen, die DLR-Einrichtung für Simulations- und Softwaretechnik in Braunschweig und die Mobile Raketenbasis des DLR (MORABA) an, welche auch die Startkampagne durchführt.
Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR fördert bereits seit 2004 im Rahmen der QUANTUS-Verbundprojekte die Erzeugung und Materiewelleninterferometrie von Bose-Einstein-Kondensaten unter Schwerelosigkeit. Im Rahmen dieser Förderung gelang es dem QUANTUS-Team im Jahr 2007 erstmals ein BEK unter Schwerelosigkeit im Fallturm des ZARM in Bremen zu erzeugen. Die weltweit beachtete Forschung mit QUANTUS leistete entscheidende Pionierarbeit für MAIUS und das Cold Atom Laboratory (CAL). Auch für die Vorbereitung weiterer Missionen, wie zum Beispiel BECCAL oder die europäische Pfadfinder-Mission für Schwerefeldmessungen CARIOQA, bleibt QUANTUS sowohl im Fallturm als auch auf Höhenforschungsraketen ein wichtiger Vorreiter.
Ansprechpartner für wissenschaftliche Fragen:
Dr. Jens Grosse
jens.grosse(at)zarm.uni-bremen.de
Tel: 0421 218-57964
Ansprechpartnerin für Presseanfragen:
Birgit Kinkeldey
birgit.kinkeldey(at)zarm.uni-bremen.de
Tel: 0421 218-57755
Wissenschaftliche Publikation über das Design der Nutzlast und die Mission: link.springer.com/article/10.1007/s12217-023-10068-7
Instagram: maius_mission
Weiterführende Videos
Was ist ein Bose-Einstein-Kondensat: https://youtu.be/TQgWHwpYd4w?si=YUvcwpZ1xJWE4YRG
Was ist Quantenmechanik? https://youtu.be/sJZcZO2Tpuk?si=1PIoN-yCLFRHfMuc